Tägliche Archive: 8. April 2017


Schaffen wir das?

“Wir haben es doch bewältigt” sagt Kanzlerin Merkel, meint damit die Aufnahme der Flüchtlinge in den letzten Jahren. Matthias Deiss verbreitet diese Aussage auf Twitter, der Tweet erntet wenig überraschend viel Kritik.

Ich habe dazu ein paar positive Aussagen in den Raum gestellt und wie erwartet Gegenwind bekommen. Ich will nun der Frage nachgehen, ob die Aufnahme der Flüchtlinge gelungen ist, was gut war und was schlecht lief.

Unterbringung & Versorgung

Der erste Schritt war und ist immer die Unterbringung und Versorgung der ankommenden Flüchtlinge. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass Deutschland auch große Mengen Vertriebener aufnehmen, unterbringen und versorgen kann. Es kam dabei aber auch immer wieder zu Unstimmigkeiten mit Anwohnern, z.B. weil diese nicht oder nur sehr kurzfristig informiert wurden oder generell Flüchtlinge ablehnen. Ersteres ist unschön und liegt daran, dass niemand langfristig im Vorraus weiß, wie viele Flüchtlinge, wann in Deutschland ankommen. Letzterem kann man nur durch Aufklärung, Begegnung und Schaffung von gegenseiteigem Verständnis und Respekt begegnen. Dass Menschen anderen Menschen, die sie nicht kennen und nicht beurteilen können, mit Ablehnung begegnen wird man jedoch nicht verhindern können.

Damit Flüchtlinge angemessen versorgt werden können müssen sie erfasst werden. Dies hat in Teilen gut funktioniert, es gab aber auch lange Wartezeiten z.B. am Lageso (Landesamt für Gesundheit und Soziales). Hier haben Flüchtlinge z.T. drei Wochen vor der Behörde auf einer Wiese auf ihren Aufruf gewartet, im Herbst 2015, im freien. Sprachliche Barrieren und fehlendes Vertrauen in Behörden haben zu Problemen geführt.

Die Versorgung der Flüchtlinge hat in Teilen gut funktioniert, es gab aber auch Engpässe. So waren in manchen Lagern Unterwäsche oder Hygieneartikel nicht in ausreichender Zahl verfügbar. Viele haben gespendet und geholfen. Die Lage hat sich meiner Einschätzung nach gebessert. Dies liegt aber sicher auch an der gesunkenen Zahl ankommender Flüchtlinge.

Ist Deutschland die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge gelungen? In großen Teilen kann man diese Frage wohl mit einem Ja beantworten. Es gibt sicher noch Potential, aber es gab keine “wilden Lager”, wie z.B. den “Dschungel von Calais” in Frankreich, Behörden und Bürger haben sich gemeinsam dieser Aufgabe gestellt und tun dies auch noch immer.

Sprache

Sprache ist die Basis für Integration. Kann man sich nicht verständigen wird man sich nicht integrieren können. Damit dies gelingt gibt es Sprach- und Integrationskurse. Zwischen dem 01.01 und dem 30.09.2016 nahmen daher fast 250.000 Menschen an Integrationskursen Teil. In diesen Kursen wird neben der deutschen Sprache auch die Kultur, die Geschichte und das Rechtssystem in Deutschland behandelt. Die Prüfungsergebnisse der Sprachkurse sind 2015 trotz der gestiegenen Teilnehmerzahlen tendenziell gestiegen (siehe Abbildung 9 auf Seite 13). Lag der Anteil der Schüler mit B1 Niveau 2009 noch bei ca. 47% war Ihr Anteil 2015 bei ca. 60%. Die Durchfallquote des Orientierungskurstest ist von ca. 8% auf ca. 5% gesunken und bleibt damit auf einem niedrigen Niveau.

Zusammenfassend kann man sagen, dass sprachliche Ausbildung und Vermittlung deutscher Kultur wie vorgesehen funktioniert und dass die Schulen es trotz gestiegener Anforderungen geschafft haben ihr Niveau in den letzten Jahren kontinuierlich zu steigern.

Arbeitmarkt

Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist sicher ein der schwierigeren Aufgaben. Hier müssen Sprache, kulturelles Verständnis und fachliche Eignung auf ausreichend hohem Niveau vorhanden sein. Tatsächlich ist es gelungen zehntausende Flüchtlinge in Arbeit zu bringen. Alleine in Bayern hat man es 2016 geschafft 60.000 Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Trotzdem gibt es viele Herrausforderungen und Probleme. Flüchtlinge müssen Sprach- und Integrationskurse mit Ihrer Arbeit unter einen Hut bekommen, fehlende formale Berufsabschlüsse stellen Arbeitgeber vor Probleme bei der Einschätzung von Bewerbern und darüber Hinaus haben beide mit bürokratische Problemen zu kämpfen (Quelle). Hier gibt es große Herausforderungen und Probleme.

Kriminalität

Immer wieder wird behauptet mit den Flüchtlingen wird die Kriminalität explodieren. Einen interner Bericht des BKAs, legt einen Anstieg der Ausländerkriminalität um 30% nahe. Fast 300.000 Straftaten oder mehr als 800 am Tag werden in dem Bericht genannt. Die Zahlen nur vorläufig, der Bericht bisher nicht veröffentlicht und der Bericht sagt auch, dass ein Vergleich mit dem Vorjahr aufgrund einer anders gearteten Datenbasis nur bedingt möglich ist. Dieser Vergleich wird aber natürlich trotzdem vorgenommen. In meinen Augen ist dies nur dann seriös, wenn man eine Aussage über die ungefähre Größe des daraus entstehenden Fehlers machen kann. Dies scheint im vorliegenden Fall aber nicht möglich oder noch nicht gemacht worden zu sein. Auch wenn die Ableitung aus diesem Bericht falsch und nicht seriös ist, steigt unabhängig davon mit großer Zuwanderung in der Regel auch die absoluten Zahlen begangener Verbrechen. Es gibt unter den Flüchtlingen vom Krieg traumatisierte Menschen, die der Aufgabe nicht gewachsen sind in einem fremden Land zurecht zu kommen und es gibt  Flüchtlinge, die schon in ihrem Heimatland Verbrecher waren. Den ersten kann man versuchen zu helfen, letztere würde ich nicht unterstützen wollen. Aber wie sind die Zahlen einzuordnen?

Im Jahr 2015 wurden in Deutschland insgesamt ca. 6,3 Mio Straftaten oder ca. 17.300 am Tag begangen (Quelle: BKA). Das ergibt einen Ausländeranteil von  ca. 3,3% am Gesamtaufkommen in 2015. Die Zahlen für 2016 liegen von offizieller Seite bisher nicht vor, geht man aber davon aus, dass die Gesamtzahl konstant bleibt wäre dieser Anteil in 2016 auf 4,6% gestiegen. Der Löwenanteil der Straftaten, mehr als 95% wird also von Deutschen verübt.

Trotzdem entstehen aus der aktuellen Situation auch neue Herausforderungen für unsere Sicherheitsorgane. Sprachbarrieren, kulturelle Eigenheiten und neue Verbrechensarten (z.B. unter den Flüchtlingen) müssen im Sicherheitskonzept Berücksichtigung finden. Dies passiert unter anderem in der Einrichtung spezieller Ermittlungsgruppen, z.B. in Ludwigsburg oder Karlsruhe.

Terror

Das Argument man müsse Flüchtlinge aus Deutschland raus halten, damit man keinen Terrorismus importiert kann ich nicht mehr hören. Es ist naiv anzunehmen, dass Terroristen nur aus dem Ausland kommen und keinen Weg hinein finden würden, wenn wir das nur wollten. Das zeigt das Beispiel St. Petersburg leider nur zu deutlich. Russland hat in 2015 ganze 105 Flüchtlinge aufgenommen und die Aufnahmebereitschaft ist in 2016 nicht gestiegen. Genutzt hat es nichts.

Ich halte sogar das Gegenteil für richtig. Nehmen wir Flüchtlinge auf und helfen wir ihnen, haben sie keinen Grund Anschläge zu verüben. Sehen Flüchtlinge Deutschland positiv haben sie einen guten Grund Radikalisierung entgegen zu treten und religiösen Fanatikern zu sagen “Stop. So nicht.”. Grenzen wir sie aus, Diskriminieren wir sie und Ihre Familien und sorgen wir für regen Waffennachschub im nahen Osten (an dem wir gut verdienen), dann züchten wir uns neue Terroristen.

Einordnung

Sind wir bei der Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland erfolgreich? Haben wir “es doch bewältigt”? Diese Frage kann man mit einem “bisher ja” beantworten. Wir haben vieles geschafft, auf das wir durchaus stolz sein dürfen. Wir geben hunderttausenden eine neue Heimat und bewahren sie so vor Krieg und Tod. Wir haben ihnen Obdach gegeben, sie mit dem nötigsten Versorgt und wir vermitteln ihnen unsere Sprache und Kultur. Und das Abendland ist dabei bisher nicht untergegangen. Aber es gibt eine Menge Baustellen, Herausforderungen und Probleme, die es zu lösen gilt. Hier sind Politiker, Verbände und Bürger gemeinsam gefordert.

Es ist (mal wieder) ein längerer Text geworden. Wenn Sie es bis hier her geschafft haben: Vielen Dank fürs lesen. Ich freue mich über Feedback zu diesem Text, unabhängig davon aus welchem politischen Lager Sie stammen. Wer konstruktiv und ohne Beleidigungen Diskutieren will ist herzlich dazu eingeladen.