Monatliche Archive: Oktober 2016


Diversität und Vertrauen

Diversität wird in verschiedenen Studien mit einem geringeren Vertrauen und geringerem sozialen Frieden in Verbindung gebracht. Die Zusammenfassung der Studie “Predicting Cross-National Levels of Social Trust: Global Pattern or Nordic Exceptionalism?” aus dem Jahr 2004 (Jan Delhey, Social Science Research Center Berlin und Ken Newton, Department of Politics, University of Southampton) beschreibt das z.B. so:

Cause and effect relations are impossible to specify exactly but ethnic homogeneity and Protestant traditions seem to have a direct impact on trust, and an indirect one through their consequences for good government, wealth and income equality. The importance of ethnic homogeneity also suggests that the difference between particularized and generalized trust may be one of degree rather than kind.

Oder die die Zusammenfassung der Studie “Ethnic diversity, trust, and the mediating role of positive and negative interethnic contact: A priming experiment” auf sciencedirect aus dem Jahr 2013 von Ruud Koopmans und Susanne Veit (Berlin Social Science Research Center):

This study not only shows that the empirically well-established negative relationship between residential diversity and trust in neighbors holds for the case of Germany, but goes beyond existing research by providing experimental evidence on the causal nature of the diversity effect.

Oder die Zusammenfassung der Studie “Trust in a Time of Increasing Diversity: On the Relationship between Ethnic Heterogeneity and Social Trust in Denmark from 1979 until Today” von Peter Thisted Dinesen und Kim Mannemar Sønderskov:

The results suggest that social trust is negatively affected by ethnic diversity.

Es gibt weitere Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Man könnte also sagen: Diversität unterminiert das Vertrauen in Gesellschaften, ist also schlecht und abzulehnen.

Meine eigene Erfahrung deckt sich damit allerdings nicht. Ich habe als Student mit einer Mexikanerin und zwei Türken zusammen in einer WG gewohnt, hatte im Wohnheim Vietnamesen, Russen, Afghanen und Pakistaner als Nachbarn. Ich habe mit Afghanen, Indern, Russen, Polen, Letten, Kolumbianern, Türken und vielen anderen Menschen unterschiedlichster Nationalitäten zusammen studiert. An meiner Universität waren damals ca. 25% ausländische Studenten (heute offensichtlich nur noch 17%), Deutsche mit Migrationshintergrund nicht eingerechnet. Ich habe mit einer Frau aus Ghana, einem Nigerianer aus Frankreich, mit einer Kasachin, Russen, Polen, Franzosen, Engländern, Letten, einem Ukrainer und mehreren Türken zusammen gearbeitet. Ich war auf polnischen Hochzeiten und habe die wundervolle Hochzeit zwischen einer Ghanaerin und einem Kenianer beigewohnt, hatte selber eine englische und zwei polnische Partnerinnen. Ich habe Sport getrieben mit Menschen aus Chile, der Türkei, Venezuela, Russland und China. Ich zähle Menschen aus Syrien, Marokko, der Türkei, Polen, England, Russland, Mazedonien, Namibia, den Niederlanden und Amerika zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Ich lebe in einer Stadt mit einem relativ hohen Anteil Menschen mit einem Migrationshintergrund, habe fast 15 Jahre in verschiedenen Stadtteilen gewohnt, in denen ca. 30% Menschen mit Migrationshintergrund leben. Und ich habe das eigentlich nie als Bedrohung wahrgenommen. Wie kommt es also zu diesen Studien und was bedeuten die Ergebnisse für uns?

Zum einen sollte man immer genau hinschauen. So heißt es in “Trust in a Time of Increasing Diversity: On the Relationship between Ethnic Heterogeneity and Social Trust in Denmark from 1979 until Today”:

The article concludes by discussing this result and suggest avenues for further research.

Und wenn man sich die Frage stellt, warum eigentlich Diversität ein Problem sein sollte kommt man z.B. auf die Studie “Ethnische Diversität und Soziales Vertrauen” von Birte Gundelach (Universität Bern) aus dem Jahr 2013. Frau Gundelach untersucht unter anderem die empirischen Studien zum Thema:

Im Hauptteil des vorliegenden Forschungsberichts referiert nun die Autorin eine Vielzahl von empirischen Studien, die in den so konzipierten Rahmen passen. Deren Ergebnisse sind in vielen Fällen nicht geeignet, „systematische“ Korrelationen zwischen Diversität und Vertrauen zu bestätigen; das schließt nicht aus, dass einzelne Studien z.B. einen negativen Zusammenhang zwischen dynamischer Immigration (d.h. schnell wachsender Zahl von Einwanderern) und generellem Vertrauen nachweisen.

und:

Bei allem Zweifel an den Messinstrumenten erlaubt sich die Autorin den Hinweis darauf, dass höhere Diversität auch höheres Vertrauen in Fremdgruppen bewirken kann.

Sowie:

Die Autorin geht kritisch an die referierten Studien heran und scheut sich nicht vor der Feststellung, dass generelle Zusammenhänge kaum nachweisbar und allgemeine Schlussfolgerungen meist müßig sind. Und da liegt doch m.E. das eigentliche Ergebnis: Es kann immer nur die konkrete Gemeinde oder Nachbarschaft, in der besonderen Konstellation kultureller Vielfalt, ihrer politischen Vorgeschichte und ökonomischen Bedingungen betrachtet werden.

Allgemeine Aussage lassen sich in der Regel also nicht treffen. Was natürlich auch dazu führt, dass ich meine eigenen Erfahrungen nicht übertragen kann.

Die Studie versucht weiter die Gründe für das verlorene Vertrauen auszuschlüssen:

Die Kontakttheorie wird laut Gundelach indirekt dadurch bestätigt, dass sich generelle Diversitätseffekte statistisch signifikant nur für Personen zeigen lassen, die keinen Kontakt zu Immigranten haben.

Es geht also gar nicht immer um Diversität, sondern auch um das, den Menschen unbekannte. Sie fürchten sich und haben kein Vertrauen, weil sie die Menschen und Ihre Diversität nicht kennen. Wir erleben das momentan relativ deutlich, wenn in Dresden Menschen gegen das Fremde auf die Straße gehen, das bei Ihnen eigentlich (noch) gar nicht da ist. In Städten und Bundesländern mit höherer Diversität (z.B. Hamburg oder Berlin) fallen die Vorbehalte geringer aus. Ursache dafür könnte sein, dass in diesen Räumen Kontakte zu “fremden” entstehen. So wie in meinem Fall. Tritt dies ein entsteht Vertrauen zu den Menschen, die man kennen gelernt hat und dieses überträgt sich dann auf andere Personen der gleichen Gruppe. Wenn wir also vertrauen bilden und erhalten wollen, können wir Menschen zusammen bringen. Aus eigener Erfahrung kann ich dazu nur ermuntern. Im Regelfall ist der Austausch mit Menschen aus anderen ethischen, kulturellen oder religiösen Gruppen etwas großartiges.

PS: Dieser Artikel entstand unter etwas Zeitdruck, weil ich jetzt noch an die Alster fahren und die AfD Lichterkette, sowie den Gegenprotest Dokumentieren will. Bitte entschuldigt etwaige Rechtschreib- und Tippfehler.