Jährliche Archive: 2016


Diversität und Vertrauen

Diversität wird in verschiedenen Studien mit einem geringeren Vertrauen und geringerem sozialen Frieden in Verbindung gebracht. Die Zusammenfassung der Studie “Predicting Cross-National Levels of Social Trust: Global Pattern or Nordic Exceptionalism?” aus dem Jahr 2004 (Jan Delhey, Social Science Research Center Berlin und Ken Newton, Department of Politics, University of Southampton) beschreibt das z.B. so:

Cause and effect relations are impossible to specify exactly but ethnic homogeneity and Protestant traditions seem to have a direct impact on trust, and an indirect one through their consequences for good government, wealth and income equality. The importance of ethnic homogeneity also suggests that the difference between particularized and generalized trust may be one of degree rather than kind.

Oder die die Zusammenfassung der Studie “Ethnic diversity, trust, and the mediating role of positive and negative interethnic contact: A priming experiment” auf sciencedirect aus dem Jahr 2013 von Ruud Koopmans und Susanne Veit (Berlin Social Science Research Center):

This study not only shows that the empirically well-established negative relationship between residential diversity and trust in neighbors holds for the case of Germany, but goes beyond existing research by providing experimental evidence on the causal nature of the diversity effect.

Oder die Zusammenfassung der Studie “Trust in a Time of Increasing Diversity: On the Relationship between Ethnic Heterogeneity and Social Trust in Denmark from 1979 until Today” von Peter Thisted Dinesen und Kim Mannemar Sønderskov:

The results suggest that social trust is negatively affected by ethnic diversity.

Es gibt weitere Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Man könnte also sagen: Diversität unterminiert das Vertrauen in Gesellschaften, ist also schlecht und abzulehnen.

Meine eigene Erfahrung deckt sich damit allerdings nicht. Ich habe als Student mit einer Mexikanerin und zwei Türken zusammen in einer WG gewohnt, hatte im Wohnheim Vietnamesen, Russen, Afghanen und Pakistaner als Nachbarn. Ich habe mit Afghanen, Indern, Russen, Polen, Letten, Kolumbianern, Türken und vielen anderen Menschen unterschiedlichster Nationalitäten zusammen studiert. An meiner Universität waren damals ca. 25% ausländische Studenten (heute offensichtlich nur noch 17%), Deutsche mit Migrationshintergrund nicht eingerechnet. Ich habe mit einer Frau aus Ghana, einem Nigerianer aus Frankreich, mit einer Kasachin, Russen, Polen, Franzosen, Engländern, Letten, einem Ukrainer und mehreren Türken zusammen gearbeitet. Ich war auf polnischen Hochzeiten und habe die wundervolle Hochzeit zwischen einer Ghanaerin und einem Kenianer beigewohnt, hatte selber eine englische und zwei polnische Partnerinnen. Ich habe Sport getrieben mit Menschen aus Chile, der Türkei, Venezuela, Russland und China. Ich zähle Menschen aus Syrien, Marokko, der Türkei, Polen, England, Russland, Mazedonien, Namibia, den Niederlanden und Amerika zu meinem Freundes- und Bekanntenkreis. Ich lebe in einer Stadt mit einem relativ hohen Anteil Menschen mit einem Migrationshintergrund, habe fast 15 Jahre in verschiedenen Stadtteilen gewohnt, in denen ca. 30% Menschen mit Migrationshintergrund leben. Und ich habe das eigentlich nie als Bedrohung wahrgenommen. Wie kommt es also zu diesen Studien und was bedeuten die Ergebnisse für uns?

Zum einen sollte man immer genau hinschauen. So heißt es in “Trust in a Time of Increasing Diversity: On the Relationship between Ethnic Heterogeneity and Social Trust in Denmark from 1979 until Today”:

The article concludes by discussing this result and suggest avenues for further research.

Und wenn man sich die Frage stellt, warum eigentlich Diversität ein Problem sein sollte kommt man z.B. auf die Studie “Ethnische Diversität und Soziales Vertrauen” von Birte Gundelach (Universität Bern) aus dem Jahr 2013. Frau Gundelach untersucht unter anderem die empirischen Studien zum Thema:

Im Hauptteil des vorliegenden Forschungsberichts referiert nun die Autorin eine Vielzahl von empirischen Studien, die in den so konzipierten Rahmen passen. Deren Ergebnisse sind in vielen Fällen nicht geeignet, „systematische“ Korrelationen zwischen Diversität und Vertrauen zu bestätigen; das schließt nicht aus, dass einzelne Studien z.B. einen negativen Zusammenhang zwischen dynamischer Immigration (d.h. schnell wachsender Zahl von Einwanderern) und generellem Vertrauen nachweisen.

und:

Bei allem Zweifel an den Messinstrumenten erlaubt sich die Autorin den Hinweis darauf, dass höhere Diversität auch höheres Vertrauen in Fremdgruppen bewirken kann.

Sowie:

Die Autorin geht kritisch an die referierten Studien heran und scheut sich nicht vor der Feststellung, dass generelle Zusammenhänge kaum nachweisbar und allgemeine Schlussfolgerungen meist müßig sind. Und da liegt doch m.E. das eigentliche Ergebnis: Es kann immer nur die konkrete Gemeinde oder Nachbarschaft, in der besonderen Konstellation kultureller Vielfalt, ihrer politischen Vorgeschichte und ökonomischen Bedingungen betrachtet werden.

Allgemeine Aussage lassen sich in der Regel also nicht treffen. Was natürlich auch dazu führt, dass ich meine eigenen Erfahrungen nicht übertragen kann.

Die Studie versucht weiter die Gründe für das verlorene Vertrauen auszuschlüssen:

Die Kontakttheorie wird laut Gundelach indirekt dadurch bestätigt, dass sich generelle Diversitätseffekte statistisch signifikant nur für Personen zeigen lassen, die keinen Kontakt zu Immigranten haben.

Es geht also gar nicht immer um Diversität, sondern auch um das, den Menschen unbekannte. Sie fürchten sich und haben kein Vertrauen, weil sie die Menschen und Ihre Diversität nicht kennen. Wir erleben das momentan relativ deutlich, wenn in Dresden Menschen gegen das Fremde auf die Straße gehen, das bei Ihnen eigentlich (noch) gar nicht da ist. In Städten und Bundesländern mit höherer Diversität (z.B. Hamburg oder Berlin) fallen die Vorbehalte geringer aus. Ursache dafür könnte sein, dass in diesen Räumen Kontakte zu “fremden” entstehen. So wie in meinem Fall. Tritt dies ein entsteht Vertrauen zu den Menschen, die man kennen gelernt hat und dieses überträgt sich dann auf andere Personen der gleichen Gruppe. Wenn wir also vertrauen bilden und erhalten wollen, können wir Menschen zusammen bringen. Aus eigener Erfahrung kann ich dazu nur ermuntern. Im Regelfall ist der Austausch mit Menschen aus anderen ethischen, kulturellen oder religiösen Gruppen etwas großartiges.

PS: Dieser Artikel entstand unter etwas Zeitdruck, weil ich jetzt noch an die Alster fahren und die AfD Lichterkette, sowie den Gegenprotest Dokumentieren will. Bitte entschuldigt etwaige Rechtschreib- und Tippfehler.


#Einzelfall

Gestern wurden in einer Twitter Diskussion verschiede Behauptungen aufgestellt, mit denen ich nicht wirklich einverstanden bin. Da ich meine Zeit am Ostermontag lieber mit Freunden verbrachte, anstatt auf Twitter zu diskutieren möchte ich diese Behauptungen heute aufgreifen und Meine Sicht der Dinge dazu darstellen.

Einzelfälle und Köln

So wurde auf den Twitter Account @XYEinzelfall und auf Kölner Polizei verwiesen und damit die Behauptung in den Raum gestellt, Flüchtlinge seien generell kriminell.

Schon der Account an sich wirft eine Frage auf: Worum geht es hier eigentlich? Um Straftaten? Wohl kaum. Sonst würde man sich nicht auf eine einzelne Gruppe krimineller beschränken. Es geht also um die Diskriminierung und Rassismus. Auch der folgende Tweet versucht sich in der gleichen Übung:

Die Behauptung alle Muslime oder fast alle Muslime seien kriminell (Krimigranten) ist ziemlicher Unsinn. Spiegelt doch bisher keine Polizeistatistik einen Anstieg in relativen Zahlen wieder:

  • Zusammenfassung der Vorstellung des Ulmer Polizeibericht
  • Das Bundeskriminalamt weiß ähnliches zu Berichten
  • Auch in Nordhausen wird dies bestätigt, der Bericht weißt dagegen explizit auf rechte Straftaten hin
  • Wenn das Handelsblatt mit einem Anstieg der absoluten Zahlen Panik machen will vergisst es dabei, dass Flüchtlinge relativ betrachtet nicht mehr Straftaten begehen, als Einheimische
  • Die Polizei musste außerdem klarstellen, dass manch eine Geschichte in der Flüchtlinge Straftaten begehen frei erfunden ist

“Die Tendenzaussagen des Lagebildes zeigen: Es gibt durch Asylbewerber und Flüchtlinge keinen überproportionalen Anstieg der Kriminalität”

Thomas de Maizière

Ja, auch Flüchtlinge begehen Straftaten. Und ja, in absoluten Zahlen steigt die Zahl der Straftaten durch den Zuzug von Flüchtlingen. Aber sollten wir deswegen alle Flüchtlinge abweisen? Nur weil sie möglicherweise Straftaten begehen? Und das mit einer ähnlichen Wahrscheinlichkeit, wie ein Deutscher? Ich denke nein.

Keine Sprengstoffanschläge

Die Behauptung es hätte in Deutschland keine Sprengstoffanschläge gegeben wurde auch aufgestellt:

Mir ist in diesem Fall eine Ungenauigkeit unterlaufen: Sprengstoffanschläge gehören tatsächlich nicht zum Alltag. Meist handelt es sich “nur” um Brandanschläge. Trotzdessen hat es geplante und durchgeführte Sprengstoffanschläge gegeben und die Aussage, es hätte keine Sprengstoffanschläge gegeben ist falsch:

  1. Oliver Rösch wirft am 31.08.2013 einen Sprengsatz auf Demoteilnehmer in Dortmund, sechs Verletzte
  2. Unbekannte verüben am 13.02.2015 einen Sprengstoffanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Freiberg, sieben Verletzte
  3. Sprengstoffanschlag auf das Auto eines Linken Politikers  am 27.07.2015 in Freital, sowie zwei weitere Anschläge am 27.09.2015 und am 01.11.2015 auch in Freital
  4. Anschläge in Dresden am 18. und 19.10.2015
  5. Brand Erbisdorf am 01.01.2015 und am 22.04.2015
  6. In Heidenau wurden am 24.08.2015 Polizisten mit Sprengsätzen beworfen
  7. Jüteborg 20.11.2015
  8. Versuchter Terroristischer Anschlag auf das Jüdische Kulturzentrum in München (geplant für den 09.11.2003)

Eine Weitere Quelle für die genannten Anschläge bzw. den Anschlagsversuch. Insgesamt “200 Straftaten mit Spreng- und Brandvorrichtungen in 2015” wurden verübt. Das hier ein Problem und Handlungsbedarf besteht ist aus meiner Sicht eindeutig. Die folgende Aussage, rechte Gewalt sei marginal  stufe ich daher als falsch ein. Schon deswegen, weil mir die schiere Zahl Angst macht.

Muslime haben dagegen bisher keinen erfolgreichen Anschlag in Deutschland durchgeführt. Ja, es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis dies passiert. Und die Anschläge in Frankreich und Belgien betreffen auch uns. Aber deswegen alle Muslime unter Generalverdacht zu stellen ist dumm. Warum? Weil so die Gesellschaft in “uns” und “die” gespalten wird und man die Muslime in Richtung der Terroristen drängt (ähnliche Argumentation zum Thema Bomben auf den IS). Man sollte Menschen auch nicht in die rechte Ecke stellen, weil sie dort bereits sehnsüchtig erwartet werden.

Religion ist immer die gleiche

Der Islam wird, ohne zu differenzieren, als monolithische Religion, ohne Interpretierbarkeit und Facetten dargestellt.

Dem ist aber mitnichten so. Der Islam besteht aus vielen verschiedenen Strömungen. Die beiden größten und bekannten Gruppierungen innerhalb des Islam sind die Suniten und Schiiten, es gibt darüber hinaus:

  • Die Ibaditen, die einer eigenen Rechtsschule folgen und keiner der beiden großen Strömungen zugerechnet werden können. Sie gehen  auf die Chawaridsch und sind vor allem im Oman zu Hause
  • Als Teil der Sunnitischen Bewegung gelten die Salafisten, die in Deutschland bereits als radikal aufgefallen sind
  • Der Sufismus, der asketische Tendenzen aufweist
  • Die Wahhabiten, die vor allem in Saudi Arabien leben lehnen den Sufismus, den Kalam und den schiitischen Islam ab
  • Die Zaiditen bilden eine Unterströmung der Schiiten
  • Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Strömungen, Gruppierungen und sicherlich auch radikale Sekten (wie in jeder Religion)

Letztendlich kann man sich das ähnlich, wie Katholiken, Protestanten und andere Gruppierungen, wie der Griechisch- oder Russisch-Orthodoxen Kirche vorstellen. Und niemand wird auf die Idee kommen eine Aussage des Papstes der evangelischen Kirche anzulasten. Diese Gruppierungen werden also, trotz ihrer gemeinsamen Grundlage, nicht in einen Topf geworfen.

Die verschiedenen Gruppierungen im Islam leben Ihre Religion, ähnlich wie die verschiedenen christlichen Strömungen, sehr unterschiedlich aus. Und auch Islam gibt es Menschen, die Ihre Religion strenger ausleben und solche, die nur auf dem Papier Moslem sind (z.B. Hamed Abdel-Samad). Ein beliebtes Argument, das vermeintlich legitimiert alle Muslime in einen Topf zu werfen ist der Koran, der als Grundlage aller Strömungen gewaltsam sei und Gewalt, insbesondere gegen ungläubige legitimiere. Dies wird hier z.B. schön dargestellt:

Nun ist es also offensichtlich so, dass die Bibel nicht weniger gewalttätig ist. Auch im Neuen Testament. Wenn man also 1,6 Milliarden Menschen auf Ihre Zugehörigkeit zum Islam reduziert und eine weitere Differenzierung für unnötig hält kann das eigentlich nur als rassistisch und fremdenfeindlich eingestuft werden. Jetzt kommt natürlich der Einwand, dass der Islam ja keine Rasse ist und das deswegen nicht rassistisch sein kann. Eine einheitliche Definition des Begriffs gibt nicht, .Daher hier kurz einige Definitionen des Wortes Rassismus:

 Rassistisch ist jede Praxis, welche Menschen diskriminiert, beleidigt, bedroht, verleumdet oder an Leib und Leben gefährdet wegen
  • gruppenbezogener körperlicher Merkmale (wie Hautfarbe)
  • und/oder ihrer ethnischen bzw. nationalen Herkunft
  • und/oder bestimmter kultureller Merkmale (wie Sprache, Religion, Lebensstil oder Namen).

Quelle

Die UN definiert Rassismus wie folgt:

In diesem Übereinkommen bezeichnet der Ausdruck “Rassendiskriminierung” jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.
Unter Volkstum fällt (z.B. nach Schweizer Recht) auch die Religion.
Auch die nicht Vereinbarkeit von Islam und Demokratie wird gerne angeführt. Indeonesien ist ein Eindrucksvolles Beispiel, dass dem nicht so ist. Die präsidentielle Demokratie ist der Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt.
Abschließend möchte ich klar stellen, dass ein konsequentes Vorgehen gegen Islamisten natürlich genauso angebracht, wie notwendig ist. Dies muss alle Möglichkeiten die uns im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung zur Verfügung stehen ausschöpfen. Selbstverständlich müssen wir uns im Rahmen des Integrationsprozesses darum kümmern, dass unsere Werte vermittelt werden. Und klar ist auch, dass Menschen, die meinen sich nicht an unsere Gesetze halten zu müssen, die Konsequenzen dafür tragen müssen. Und handelt es sich bei einem Straftäter um einen Flüchtling, so muss dieser nach geltender juristischer Lage ggf. abgeschoben werden. Die Reduzierung der Schwelle dafür halte Ich durchaus für sinnvoll. Momentan liegt diese bei drei Jahren.
Eigentlich müsste ich noch viel mehr schreiben. Doch fehlt mir die Zeit. Wer auch immer das alles gelesen hat: vielen Dank für Deine Geduld, aus welchem politischen Lager auch immer Du kommst.
An alle besorgten, AfD oder Pegida Anhänger: Bitte lasst uns reden. Sachlich und konstruktiv. Wir entfernen uns immer weiter voneinander, treiben einen Spalt durch unsere Gesellschaft. Viele “Dialoge” bestehen mehr aus Beleidigungen, herumgepöbel und verbalem Mist, als aus konstruktiven Beiträgen, die uns durch These, Antithese und Synthese weiterbringen. Ja, dieses Thema ist emotional aufgeladen und auch ich schlage sicher manchmal über die Strenge, aber was ist die Alternative zu einem Dialog? Bürgerkrieg?